Netzwerkanalyse

Von Aline Deicke und Marjam Trautmann

Was ist Netzwerkanalyse?

Netzwerkanalyse ist gleichzeitig ein statistisches Instrumentarium zur Analyse [von] Netzwerken und eine Theorieperspektive. Diese Theorieperspektive behauptet die Bedeutsamkeit der Netzwerke, des Eingebettetseins von individuellen oder korporativen Akteuren für deren Handlungsmöglichkeiten. (Jansen 2006, 11)

[N]etworks permeate science, technology, business and nature to a much higher degree than it may be evident upon a casual inspection […] most networks are driven by common organizing principles. (Barabási 2016, chapter 1)

  • Analyse von Beziehungen und Netzwerken
  • Relationaler Forschungsansatz
  • Anwendung von Methoden aus Graphen- und Netzwerktheorie, Statistik
  • Integration von Mikro- und Makroansätzen
  • ermöglicht es, emergente oder systemische strukturelle Eigenschaften von Systemen aufzuzeigen; Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
  • ermöglicht Quantifizierung von Forschungsergebnissen und “Intuitionen”
  • Eingesetzt u. a. in der Soziologie, Biologie und Medizin, Organisationspsychologie/-soziologie, Verkehrs- und Kommunikationsforschung, …

Darstellung eines Netzwerks

Three alternative representations of the same graph Drei Darstellungen desselben Netzwerks (Diagramm/Graph, Adjazenzmatrix, Inzidenzmatrix) (Nach Hennig et al. 2012, 109 Abb. 19)

Elemente eines Netzwerks

  • Netzwerk: Abgegrenztes Set von Knoten und ein Set der für diese Knoten definierten Kanten; Graph (Mathematik)
  • Knoten: node; Kleinste separate Einheit; Akteur (Soziologie), Vertex
  • Kante: edge; Beziehung zwischen zwei Knoten, auch tie, arc, link, relationship, etc. Kann eine Richtung (direction) und/oder ein Gewicht haben (weight)
  • Dyade: Kleinste mögliche Analyseeinheit eines Netzwerks: Alle möglichen Beziehungen zwischen zwei Knoten
  • Triade: Alle möglichen Beziehungen zwischen drei Knoten
  • Clique: Gruppe von mindestens drei Knoten, die vollständig miteinander verbunden sind
  • Geodätischer Abstand: Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Knoten

Design einer Netzwerkstudie

Netzwerk-, Knoten und Kanteneigenschaften

  • Ego- oder Gesamtnetzwerk; Teilnetzwerke
  • Haben die Knoten Attribute, und wenn ja, welche und welcher Art?
  • Gerichtet oder ungerichtet: haben die Beziehungen im Netzwerk eine Richtung?
  • Gewichtet oder ungewichtet: Handelt es sich um binäre Beziehungen (Beziehung/keine Beziehung) oder um Beziehungen, denen ein bestimmter Wert zugeordnet werden kann?
  • One-Mode-, Two-Mode- oder Multi-Mode-Netzwerk: Gibt es Knoten von mehr als einer Art im Netzwerk?

→ Auswirkungen auf die Art wie Maße berechnet werden bzw. ob sie berechnet werden können

Netzwerkmaße

  • Maße auf Knoten- bzw. Kanten- und Netzwerklevel
  • Grundlegende Maße z. B.:
    • Dichte: Tatsächliche Anzahl der Kanten/Maximal mögliche Anzahl der Kanten
    • Verschiedene Entfernungsmaße, z. B. Durchmesser, geodätische Abstände, etc.
    • Reziprozität: Anzahl erwiderter Beziehungen/Anzahl einseitiger Beziehungen
    • Clustering: i.d.R. Anzahl und Art von Triaden (Triadenzensus, Transitivität)
  • Zentralitätsmaße:
    • Gradzentralität (degree centrality): Verbindungen zu anderen Knoten
    • Zwischenzentralität (betweenness centrality): Maß des “Verkehrs”, der über einen Knoten fließt
    • Nähezentralität (closeness centrality): Nähe zu allen anderen Knoten
    • Eigenvektorzentralität (eigenvector centrality): Verbindung zu einflussreichen Knoten
  • und viele mehr…

Beispiel: Zentralitätsmaße

Network exhibiting a kite structure Nach D. Krackhardt, Assessing the Political Landscape: Structure, Cognition, and Power in Organizations. Administrative Science Quarterly 35, 2, 1990, 342-369

  • Dichte: 2m / n(n-1) = 2*18 / 10(10-1) = 0,4
  • Max. Degree: D
  • Max. Betweenness: H; F, G; I; D
  • Max. Closeness: F, G
  • Max. Eigenvector: D; F, G
  • F, G stukturell äquivalent

Netzwerke mit geisteswissenschaftlichen Forschungsdaten

Forschungsfrage

The elements of network models (Brandes u. a. 2013, 4 Abb. 1) The elements of network models (Brandes u. a. 2013, 4 Abb. 1)

Netzwerkmetapher, -analyse und –struktur sind Abstraktionen, die im Rahmen der Forschungsfrage kontextualisiert und interpretiert werden müssen!

Herausforderungen historischer oder archäologischer Netzwerkanalyse

  • Komplexe Datensets:
    • Was sind Knoten, was sind Kanten?
    • Wie wird das Netzwerk abgegrenzt? Welche Daten fließen in die Analyse ein?
    • Auswirkungen von Datenqualität und Überlieferungslage
    • Bimodale oder multimodale, gerichtete oder ungerichtete Netzwerke
  • Welche Maße sind aussagekräftig? Was bedeuten sie in dem jeweiligen Kontext und hinsichtlich der jeweiligen Forschungsfrage?
  • Teil des Forschungsprozesses, kein Ersatz
  • Sind die Daten wirklich geeignet für eine netzwerkanalytische Betrachtung?

Beispiele historischer und archäologischer Netzwerkstudien

Robust Action and the Rise of the Medici, 1400-1434

  • Aufstieg Cosimo de’ Medicis im Florenz der Renaissance
  • Knoten: Familien der florentinischen Elite; Kanten: Verschiedene Arten sozialer Beziehungen zwischen den Familien, z. B. Eheschließungen, ökonomische Beziehungen, etc.
  • Ergebnis: Cosimos “sphinxartige” Natur und multiplen Identitäten erlaubten ihm die Manipulation der florentinischen Elitennetzwerke

J. F. Padgett/Ch. K. Ansell, Robust Action and the Rise of the Medici 1400–1434. American Journal of Sociology 98, 1993, 1259-1319.

Burials and Graphs: Relational Approach to Mortuary Analysis

  • Analyse des frühbronzezeitlichen Gräberfelds von Rebešovice/CZ
  • Knoten: 72 Gräber; Kanten: Ähnlichkeit basierend auf 32 Objektkategorien
  • Ergebnis: Sektionierung Gräberfeld beruht nicht auf Status oder Chronologie, sondern auf der zeitgleichen Nutzung durch verschiedene Gruppen

D. Sosna/P. Galeta/L. Šmejda/V. Sladek/J. Bruzek, Burials and Graphs: Relational Approach to Mortuary Analysis. Social Science Computer Review 31, 1, 2012, 56-70.

The Small World of the Vikings: Networks in Early Medieval Communication and Exchange

  • Untersucht wikingerzeitlichen Fernhandel anhand der Vita Anskarii und der Verteilung von Objekttypen in einer Reihe frühwikingerzeitlicher Fundstellen in Südskandinavien
  • Knoten: 72 archäologische Fundstellen; Kanten: Vorkommen von 31 Objekttypen
  • Ergebnis: Das Handelsnetzwerk der Wikingerzeit weist zwar eine kleine Anzahl von Zentren (Hubs) aus, erweist sich ansonsten aber als spärlich vernetzt und damit wenig robust

S. M. Sindbæk, The Small World of the Vikings: Networks in Early Medieval Communication and Exchange. Norwegian Archaeological Review 40, 1, 2007, 59-74

Software

Software Betriebssystem
Gephi Alle Systeme, die Java und OpenGL unterstützen
UCINET/NetDraw Windows; proprietär
Visone Alle Systeme, die Java unterstützen
Ora-Lite Windows
Pajek Windows
R (SNA packages, z. B. igraph oder RSiena) Linux, Mac, Windows

Netzwerkanalyse mit Neo4J

Es ist es auch möglich, Netzwerkmaße direkt am Graphen in Neo4J zu berechnen, u. a. mit Hilfe der shortestPath-Funktion oder Paketen von user-defined procedures wie APOC. Beispiel: Berechnung des Grades der einzelnen Knoten

MATCH (n1:Person)-[r:KENNT]-(n2:Person)
RETURN n1.name, count(DISTINCT n2) ORDER BY count(DISTINCT n2) DESC

Praktische Übung

Daten

  • .csv (comma separated values)
  • 2 Tabellen:
    • edges - Kantentabelle mit Quelle, Ziel und ggf. Typ der Kante
    • nodes - Knotentabelle mit id, label und weiteren Attributen der Knoten

Import von Knoten und Kanten

  1. Create edges
    1. File > open: edges.csv; choose “CSV files (.txt, .csv)”
    2. Import options: data format “link list”, cell delimiter “;”, source/target (check preview)
  2. Add node attributes
    1. Open attribute manager (top tool bar)
    2. top: button “node”; left: button “import & export”
    3. import file nodes.csv
    4. network attribute and file attribute: “sender”/“id”, cell delimiter “,”
    5. show & edit –> überprüfen

Visualisierungsoptionen

Labels

  1. left-hand panel: visualization
  2. category: mapping, type: label, property: node label
  3. attribute: label > visualize
  4. Label size:
    1. category: mapping, type: size, property: node label size
    2. uncheck “auto scale”, choose scale > visualize

Layout

  1. Visualization > Layout > SpringEmbedder
  2. Transformation > links > merge > same direction, create multiplicity
  3. Visualization > size > link width > multiplicity

Erste Analysen

  1. left-hand panel: analysis
  2. task: indexing, class: network, index: network statistics > analyze
  3. check in attribute manager > network
  4. Weitere Analysen:
    1. Weighted degree (class: node centrality, index: degree, link strength: multiplicity)
    2. Betweenness (class: node centrality, index: betweenness)

Visualisierung

Knotengröße nach Grad

  1. left-hand panel: visualization
  2. category: mapping, type: size, property: degree > visualization
  3. if needed, uncheck “auto scale” and choose approriate scaling value

Knotenfarbe nach Betweenness

  1. left-hand panel: visualization
  2. category: mapping, type: color, property: node color
  3. attribute: betweenness, choose color scheme > visualize

Last but not least

Clean-up, save and export

  1. Clean-up:
    1. left-hand panel: visualization
    2. category: layout, type: node layout, property: SpringEmbedder
    3. category: layout, type: node layout, property: overlap removal – min. separation: 10, node labels: loose > layout
  2. Save
    1. file > save
    2. save as .graphml
  3. Export
    1. file > export
    2. choose file type, e.g. .png > save

Literatur

Abgekürzte Literatur

Weitere Literatur

Zeitschrift: Social Networks (ab 1979)

Websites